UNIVERSITÄT OSNABRÜCK

Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung (NGHM)


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Reproduktion der Unsichtbarkeit (1949-1969)

Die mit dem §175 einhergehende Vorstellung von „Unzucht“ verbannte auch in Osnabrück Homosexualität ins Geheime und Private. Strafverfolgung und damalige Sexualmoral verdrängten Homosexualität aus dem Stadtraum. Dies sehen wir deutlich an einer Kartierung der uns vorliegenden Daten bis zur Strafrechtsreform 1969. Dafür haben wir für jene drei Zeitabschnitte, die unsere Studie systematisieren, alle uns verfügbaren Informationen zur Präsenz von Homosexualität im Stadtraum anhand von drei Kategorien kartiert. Rein private Orte wie Wohnadressen sind davon ausgenommen. 

Orte der Homosexualität im Osnabrücker Stadtraum 1949-69 (visualisierte Forschungsdaten VHM)

An Orten der Diskriminierung können wir verschiedene Ausgrenzungs- oder Verfolgungspraktiken festmachen und an Orten der Emanzipation Bestrebungen, sich Recht und Sichtbarkeit zu erkämpfen. Daneben stehen Alltagsorte. Bei dieser Kategorie unterscheiden wir in informelle Alltagsorte, also z.B. Parks, Klappen und andere codierte Treffpunkte im öffentlichen Raum, und in formelle Alltagsorte, also z.B. spezifische Räumlichkeiten, Gaststätten, Klubs usw. Dabei ist wichtig, dass die Kartierung auf uns vorliegenden Orts und Zeitangaben beruht. Die Darstellung z.B. des Treffpunkts vor dem Botanischen Garten sagt also nicht aus, dass dieser erst 1964 entstand, sondern dass wir ihn ab dann nachweisen können.

In Interviews mit Vertreter*innen der entsprechenden Generation erfahren wir von teils versteckt gelebter, teils zu verstehen versuchter, teils sich selbst nicht eingestandener Homosexualität. Doch wie wir an der obig gezeigten Karte sehen können, prägte sich diese Geschichte kaum im Stadtraum ab. Was wir in den Akten finden sind Orte der justiziellen Verfolgung, also die Polizeiwache und den Inhaftierungsort der Strafanstalt Lingen. Dem stehen Orte klandestiner Sexualität, also schwule Sextreffpunkte in einigen Parks (Cruising-Areas) oder Toiletten (Klappen) gegenüber. Über diese wissen wir nur, weil in den Niederlanden gedruckte schwule Europareiseführer ab 1964 auch Osnabrücker Orte aufführten. Kurzum: Im Stadtraum sehen wir das versteckt anonymisierte Treffen für Sex und das Aufflackern staatlicher Repression. Homosexualität wurde vor 1969 weniger verfolgt, als vielmehr in die Unsichtbarkeit verdrängt. Diese Unsichtbarkeit erachten wir als kennzeichnend für die Phase vor 1969.

Dabei ist es wichtig zu bemerken, dass dies keine neue Entwicklung war, sondern eine Reproduktion der von den Nationalsozialisten produzierten Unsichtbarkeit von Homosexualität. Seit spätestens 1931 hatte in Osnabrück ein Büro "Bund für Menschenrechte" geöffnet. Mit dem Vereinsverbot und der Schließung dieses Büros 1933 verschwanden jegliche offiziellen homosexuellen Anlaufpunkte bis Mitte der 1970er Jahre aus dem Stadtraum. Was dies für homosexuelles Leben vor Ort bedeutete, lässt sich an den von uns geführten Interviews ablesen.

©VHM (2020)